Sunny CaliforniA
Um 6:00 Uhr klingelt der Wecker, wir schlagen die müden Augen auf, noch ist alles dunkel im Zelt. 2x Snooze, um die Wärme und Ruhe zu genießen, dann schlüpfen wir aus den kuscheligen Schlafsäcken in die frische Morgenkühle, vor der uns auch das Zeltinnere nicht bewahren kann. Schnell pellen wir uns in Fleece und Jacken, um ohne Bibbern Schlafsäcke sowie Kopfkissen einzupacken und die Schlafmatten zusammenzurollen. Die wasserfesten Ortlieb-Taschen werden aufbruchsbereit gepackt und alles in die Zeltabseite (zwei seitliche Räume, die vom Außenzelt abgedeckt sind und als Stauraum dienen) geräumt. Wir kriechen aus dem Innenzelt in die Zeltabseite, um das trockene oder leicht feuchte, manchmal auch plitsch nasse Innenzelt vom eigentlich stetig nassen Außenzelt abzumontieren. Das Innenzelt wird in einen wasserfesten Packsack verstaut, danach trauen wir uns nach draußen, um die Zeltabseiten leer zu räumen und die Taschen an dem Tandem zu befestigen. Nun knöpfen wir uns das Außenzelt in mittlerweile geübt harmonischen Handgriffen vor, ehe das gesamte Zelt gegen 6:45Uhr in unserem „Schlafzimmer“ (wasserfeste Packtasche mit Zelt, Schlafsäcken, Schlafmatten etc.) auf dem Anhänger liegt.
Nun wartet ein köstliches Frühstück auf uns. Ganz gemütlich starten wir den Morgen mit einem Instantkaffee, den wir aus am Abend vorgekochtem Wasser brühen. Dazu bereiten wir Porridge, ein warmes Haferflockengericht, zu - mal mit heißem Wasser aufgegossen, mal mit Sour Creme, die uns hier als Ersatz für Quark dient, vermischt, selten auch mal mit frischer Milch. Frisches Obst, Rosinen, ab und an Nüsse peppen das Porridge auf und gestalten unser Frühstücksmahl immer wieder sehr abwechslungsreich. Zwei, drei Brotscheiben mit Käse oder Nutella runden unser ausgiebiges Frühstück ab. Der Abwasch folgt, die „Küche“ (Packtasche mit Nahrungsmitteln und Kochutensilien) wird verpackt und auf den Anhänger montiert, Jacken ausgezogen, Sonnencreme aufgetragen. Nun ist es mittlerweile ca. 8:00 Uhr und wir sind startklar, um auf den ersten Kilometern die Beine warm zu strampeln.
Die kalifornische Steilküste erweist uns allerdings keine Gnade am frühen Morgen. Gleich auf den ersten Metern geht es steil bergauf, oftmals über 10%ige- Steigungen. So krachseln wir schnaufend einige Höhenmeter nach oben, aber die wunderschöne Landschaft, die in dem warmen morgendlichen Licht erstrahlt, bringt uns innere Ruhe und lässt alle Mühe vergessen. Wir genießen den Start in den Tag, die Stille, die Aussicht auf raue Klippen, teils noch eingehüllt in den kalifornischen Fog (Nebel), der mystisch mit den ersten Sonnenstrahlen spielt. Das Meer rauscht, die Weite des Ozeans kommt immer mehr im sich auflösenden Nebel zur Geltung. Der morgendliche Wettkampf zwischen Nebel und Sonne um den Sieg ist ein faszinierendes Schauspiel, sobald die Sonne Oberhand gewinnt. Ansonsten ragen dicke Nebelschwaden tief über dem Boden und hüllen die Landschaft in ein kühles Grau – das warme Morgenlicht bleibt aus. Es bleibt die Mystik, das Bizarre, das Verschleierte.
Landschaftlich gestaltet sich unsere Route entlang der berühmten 101 sehr abwechslungsreich. Sobald sich die 101 vorerst von der Küste trennt, treffen wir schon bald auf die Giganten des Waldes. Wie breite Holzwände ragen die bis zu 2000 Jahre alten Redwood-Trees 100m schnurrgerade in den Himmel. Uns bleibt schier der Atem weg, die Faszination ist kaum zu beschreiben. Robert läuft fünf Minuten durch den Wald, Blickrichtung gen Himmel und es folgen staunende Worte wie „Wahnsinn“, „unglaublich“, „wow“, „nicht zu fassen“. Die Avenue of the Giants ist wohl eines unserer persönlichen Highlights der Reise. Die Natur überwältigt uns, wie so oft in den letzten Monaten. Neben den gewaltigen Mammutbäumen wirken andere Bäume wie Stecknadeln. Der tägliche Nebel bietet den Herrschern des Waldes die nötige Grundlage, um alle anderen Lebewesen zu überragen. Die Urgesteine bahnen sich so ihren Weg zur Sonne. Uns wird berichtet, dass man die Größten nicht mal mit 20 Personen umarmen kann. Teilweise bilden sich natürliche Löcher oder Höhlen im unteren Stamm, so dass diese als kommerzielle Drive-Thru-Trees fungieren und den Touristen 6$ pro Durchfahrt entlocken. Andere Redwoods beweisen ihre Resistenz gegenüber anderen Naturgewalten. Während der untere Stammbereich durch einen Brand abgestorben ist, thronen weit oben grüne Blätter in der unendlich erscheinenden Baumkrone. Nur der menschlichen Hand können sie nicht trotzen. Einst großflächig an der Westküste bis runter an die Grenze Mexikos bestehend, besiedeln die Redwoods heute nur noch eine sehr geringe Fläche in Kalifornien. Dem Regenwald sind Siedlungen und ausgedörrte Felder gewichen. Wasser ist in Kalifornien heutzutage rar und so sind selbst die Duschen auf den Campgrounds wegen Wassermangel gesperrt. Man könnte uns aber auch als Regenboten bezeichnen, denn mit uns kam auch der erste Regen in den sommertrockenen Staat an der süd-westlichen Küste der USA. Während wir nicht ganz so angetan waren, freuten sich die Kalifornier sehr über das Wasser für die Bewirtschaftung der Felder und Grundwasserversorgung. So lernten wir den Regen auf eine für uns Norddeutsche doch eher ungewohnte Sichtweise zu schätzen.
Bald lassen wir die Giants zurück und folgen der 101 wieder an das raue Meer mit all seinen steilen Klippen, unzähligen Steininseln, langen Sandstränden und wilden, ungezähmten Wellen. Die 101 lockt auch zu dieser Jahreszeit viele Radreisende an. On the Road oder abends auf den State Parks in der Hiker & Biker-Area treffen wir neben Ria und Oli, dem deutschen Radreisepäarchen, mit dem wir nun die gesamte Westküste zusammen bereist haben, auf zahlreiche weitere Gleichgesinnte. Neben Brad aus Australien, dem wir über eine Woche immer mal wieder begegnen, und vier Kanadiern, die auf einem vierer „Tandem“ (Quat) unterwegs sind, lernen wir Radreisende aus den verschiedensten Ecken kennen oder eben auch fast von nebenan wie den Frank aus Lübeck mit seinen prall gefüllten Packtaschen. Alle eine gemeinsame Leidenschaft teilend oder aus Charity-Ambitionen unterwegs wie das Quatteam, sind wir doch alle auf demselben Nenner. Die Kanadier strampeln für einen guten Zweck. Sie sammeln Spenden für die Lungenkrebsforschung in British Columbia, Kanada. In wenigen Wochen wollen sie von Vancouver bis zur mexikanischen Grenze gelangen. Unterstützt werden sie von einem Supportcar, das Gepäck und Nahrungsmittel transportiert, auf das wir auch etwas neidisch sind ;-).
Der Westen Amerikas bietet uns nicht nur interessanten Austausch und landschaftlichen Abwechslungsreichtum, sondern ein für das Tandem technisch anspruchsvolles und herausforderndes Profil. Hoch und runter, bis zu 1500 Höhenmetern am Tag, steile Passagen mit bis zu 18%-igen Steigungen, eine Kurve verfolgt die andere – nicht nur unsere Beine geraten an ihre Grenzen, auch das Tandem. Das hohe Gewicht auf dem Hinterrad, die langsamen, kraftvollen Trittbewegungen bergauf und der infolge schlingernde Anhänger wirken in zu hohen Zug- und Druckkräften auf das Hinterrad ein. Die Folge bekommen wir zu spüren – Speichenbrüche. Dies wiederfährt uns innerhalb von 500km gleich drei Mal. Dank Robert´s Fähigkeiten können wir, nachdem wir zwei Stunden außer Gefecht sind, die jeweilige gebrochene Speiche ersetzen und stets unseren Trip bis zum Tagesziel fortsetzen. Mit zitternden Füßen und einem mulmigen Gefühl im Magen bahnen wir uns mit einer letzten Ersatzspeiche den Weg bis San Francisco, wo wir das Hinterrad mit stärkeren Speichen neu einspeichen lassen.
Fortsetzen konnten wir unseren Weg auch nach Sabrinas Sprunggelenksverletzung zu Beginn in Kalifornien. Das Tandem ermöglichte uns die Weiterfahrt, auch wenn Sabrina nur halbe Kraft treten konnte. So schaffte es Robert, uns bis zur nächst größeren Stadt, Crescent City, mit ausreichend Einkaufsmöglichkeiten durchzuschlagen. Dort verhalf uns eine speziell für Radfahrer entworfene Community, ähnlich wie Couchsurfing, zu mehreren Tagen Rast. „Warm Showers“ bietet die wunderbare Möglichkeit, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen, mehr über deren Leben und das Land zu erfahren. Wir durften in Crescent City in einer Kirchengemeinde, die eine „Warm Shower“ in deren Gemeindehaus anbietet, eine dreitägige Verletzungspause einlegen. Die St. Pauls Church kam vor ein paar Jahren zufällig durch Nachfrage eines Radreisenden auf die Idee, weiteren Radreisenden einen Unterschlupf zu bieten. Die Gemeinde engagiert sich nicht nur, indem sie Schlaf- und Küchengelegenheiten zur Verfügung stellt, sondern lässt uns und acht andere Radler für die Zeit des Aufenthaltes am Gemeindeleben wie beispielsweise an einer Kaffeerunde und am Gottesdienst teilhaben. Dies bietet uns die Chance, Einblicke in die sehr enge, persönliche Gemeinschaft zu erhalten und wieder mehr über Land und Leute zu lernen. Die starke Gemeinschaft zeigt sich auch in der unglaublichen Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Mitglieder. Nach Kenntnis über die Verletzung wurden sämtlich Hebel in Bewegung gesetzt, so dass sich ein stadtbekannter, pensionierter Football-Coach Sabrina´s Verletzung annahm. Mit einem Naturheilverfahren, das Coach Dick von einem Indianer erlernt hat, verhalf er Sabrina zur schnellen Genesung. Der großartigen Hilfe und Ruhe sei Dank, dass wir drei Tage später wieder mit fast voller Kraft auf dem Tandem Richtung Süden sitzen konnten.
In Crescent City wurden uns einmal mehr die Gegensätze zwischen Arm und Reich bewusst. Während am Küstenstreifen fantastische Villen und wohlhabende Familiensiedlungen thronen, uns ein riesiges, spritfressendes Auto nach dem anderen überholt, begegnen wir auf den Straßen der rund 8.000 Einwohner-Stadt etlichen Obdachlosen. Dieses Bild soll uns auch in San Francisco begegnen und regt zum Nachdenken an. Der Unterschied zum sozialen System im vergleichsweise kleinen Deutschland wird deutlich. Auch Gespräche mit Einheimischen bestätigen unsere Wahrnehmung. Vorsichtig stoßen wir die Themen Gesundheitssystem, Steuersystem und weitere politische Themen an. Es ist sehr interessant, die unterschiedlichen Sichtweisen der Amerikaner kennenzulernen. Vor allem das Gesundheitssystem der USA, steht es zurzeit im Zeichen des Umbruchs, ist ein heikles Themengebiet. Die Beiträge der privaten Anbieter sind unermesslich hoch, die Reform stockt, stößt auf Widerstände und Grenzen. Es ist ein Land der Individualisten, so lautet die Aussage eines unserer Hosts von Warm Shower, den wir mittlerweile entlang der Route 1 kennenlernten.
Die Route 1 bot uns traumhafte Küstenabschnitte und den Abschluss einer weiteren Etappe – das Erreichen San Franciscos und das Überqueren der Golden Gate Bridge. Bei schönstem Wetter bahnen wir uns zusammen mit Brad, dem Australier, und den vier Quat-Kanadiern den Weg über die Bucht. Vor uns liegt die berühmte Großstadt, Meer und Berge vereinen sich erneut, was uns damals schon in Vancouver so sehr gefallen hat. Der Anblick lässt unsere Vorfreude auf die Millionenmetropole wachsen. Wir haben lange auf diesen Moment hingefiebert, denn nun liegt hoffentlich das herstblich, nasse Wetter hinter uns und die Überquerung der mexikanischen Grenze bald vor uns. Wir verabschieden uns von unseren Begleitern und suchen uns einen Weg durch die hügelige Stadt. In den kommenden Tagen genießen wir die Sonne bei klassischem Sightseeing auf dem Tandem. Dabei nehmen wir natürlich auch die Herausforderung der steilsten Straße in San Francisco mit 32% in Angriff. Diese Neigung erfordert sogar Treppenstufen für Fußgänger. Mit dem Tandem, aber ohne Gepäck, hiefen wir uns den Berg nach oben, Tritt für Tritt, jeder schmerzt, das Herz klopft bis an die Ohren und der Laktatgeschmack im Mund weist auf volle Ausbelastung hin. Aber wir schaffen es. Robert ist unheimlich stolz und so platt, dass er sich sofort auf den Boden wirft.
San Francisco hält nicht nur steile Straßen und pfeilschnelle Abfahrten, auf denen die Bremsen heiß laufen, für uns bereit. Große, grüne Parkanlagen, wunderschöne Ausblicke auf die umliegende Berglandschaft, die Bucht und die Skyline, sogar einen Sonnenaufgang an der Westküste können wir genießen. Und – wer hätte es anders erwartet – auch hier verdienen wir uns den Titel der Regenboten, wir erleben den ersten Regen nach dem Sommerloch. Sunny California ;)…
In den nächsten 10 Tagen lassen wir unser Tandem sicher verwahrt im angrenzenden Sausalito zurück. Wir planen einen Roadtrip mit Ria und Oli, um die umliegenden Nationalparks wie Yosemite NP, Death Valley NP, Bryce Canyon und Grand Canyon zu erkunden und natürlich auch um Las Vagas unsicher zu machen ;).
In den nächsten 10 Tagen lassen wir unser Tandem sicher verwahrt im angrenzenden Sausalito zurück. Wir planen einen Roadtrip mit Ria und Oli, um die umliegenden Nationalparks wie Yosemite NP, Death Valley NP, Bryce Canyon und Grand Canyon zu erkunden und natürlich auch um Las Vagas unsicher zu machen ;).