Das Hochland Mexikos - vom Meer in die Berge
Wieder ein schwerer Abschied, wieder die Überwindung, von einem schönen Ort aufzubrechen – ganze vier Wochen haben wir in La Paz verbracht, gemeinsam viele bleibende, verbindende Erinnerungen mit Frida, der gebürtigen Hamburgerin und Nici & Phillip, dem österreichischem Radlerpaar, gesammelt. Doch es kommt der Tag, an dem der Aufbruch naht und sich unsere Reise fortsetzt. Vor allem mit unserem ambitionierten Ziel, am 19.04.2015 Regina und André am Flughafen von San José in die Arme zu nehmen. Costa Rica wartet also auf uns. Das ist auf jeden Fall eine antreibende Motivation, sich auf den weiteren Weg zu begeben, auch wenn das Bevorstehende uns viel Kraft und Geduld abverlangen wird – das Hochland Mexikos. Hoffentlich schrumpfen zumindest unsere körperlichen Reserven, die wir fleißig angesammelt haben ;).
Vom Meer in die Berge, ein gigantischer Aufstieg und eine noch gigantischere Aussicht auf bis zu 3000m liegt vor uns. Zunächst überqueren wir den Golf von Kalifornien, der die mexikanische Peninsula Baja California vom Festland trennt, mit der Transportfähre. Der Abschied von unserem fast stetigen Begleiter seit Haines (Alaska), auf den wir nun ab dem Festland erst einmal verzichten müssen, bietet uns noch einmal einen unglaublichen Einblick in das vielfältige Unterwasserleben des Ozeans – sich treiben lassende Schildkröten, das Schiff begleitende Delfine und aus dem Meer springende Wale faszinieren uns nach all den wunderschönen Erlebnissen in La Paz auf´ s Neue. Das Meer bleibt einfach immer etwas Besonderes, vor allem durch unsere heimatliche Verbundenheit zur Nord- und Ostsee. 18 Stunden später, um einen farbintensiven Sonnenaufgang reicher, steigen wir in Mazatlán von Board. Nach vier wöchiger Ruhepause vom Radreisen kommen wir nach einer Kaffee- und Brotpause mit zwei Reisenden aus Berchtesgaden, Gerhard und Gertrude, frisch gestärkt, langsam ins Rollen. Die Nacht verbringen wir bei der Ambulanz des Cruz roja (Rotes Kreuz) in Concordia, die uns auf ihrem Parkplatz übernachten lassen. Es gibt sogar eine Dusche, wenn auch kalt, aber daran haben wir uns in Mexiko schon gewöhnt.
Am nächsten Morgen steht der langatmige Aufstieg an. Auf runden 100km geht es in drei Tagen Tritt für Tritt bergauf. Eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 6,5km/h sorgt dafür, dass uns begeisterte Kinder aus den Bergdörfern zu Fuß ein paar Höhenmeter begleiten und wir nur um die 35-40km pro Tag schaffen. Stolze 12 Minuten brauchen wir ca. im Schnitt für einen Kilometer Fahrt bergauf. Geduld ist gefordert, Genuss ist geboten. Der Anblick auf die Berglandschaft ist jeden dieser Tritte wert. Tief hinunter ins Tal schweift unser Blick, grüne Bäume überziehen die Berggiganten und lassen hin und wieder den Blick auf die gewaltigen Felswände frei. In kontinuierlichen Serpentinen schlängeln wir uns in die Höhe. Für uns beide ist es das erste Mal, solch eine Höhe mit dem Fahrrad zu bewältigen. Selbst in Alaska lag der höchste Punkt unserer Tour nur auf 1100m. Trotzdem weckt der Anblick Erinnerungen an die vergangenen Tage zu Beginn unserer Reise. Vor sechs Monaten standen wir ebenfalls am Meer, eine damals noch unüberwindbar scheinende Bergkette vor uns liegend. Auch das Wetter bei der aktuellen „Bergbesteigung“ stimmt mit der alaskanischen Unbeständigkeit überein. So bald hatten wir nicht erwartet, unsere Regenmontur wieder im Dauereinsatz zu wissen. Immer wieder rieselt es Regenschauer auf uns hinab, die Wolken hängen tief in den Bergen. Trotz dessen ist der Anblick atemraubend. Jede neue Kurve weckt neues Erstaunen über die Schönheit dieser Landschaft. Wir erfreuen uns jeder freien Sicht auf das grüne Tal, die wir zwischen den Bäumen entlang der Straße erhaschen können. Schnell geht es in die Höhe, denn die prozentualen Steigungen sind teils brutal. Zwischen 1-20% ist alles vertreten, im Schnitt gefühlte 8-9%. Immer weiter geht es hinauf, kaum Ebenen oder Abfahrten. Irgendwann kommen wir an dem Punkt an, an dem wir uns in einen Trott getreten haben und uns nicht mal mehr über die Erholungspausen durch seltene Abfahrten freuen, denn jeden einzelnen Meter, den es in die Tiefe geht, müssen wir erneut erkämpfen. Wir wussten bei der Planung dieser Route, dass es mit dem Tandem eine große Herausforderung wird. Zuvor haben wir sämtliche entbehrliche Kilo aus unseren Taschen verbannt, um uns den Weg zu erleichtern. Die Motivation wird aber stetig durch vorbeifahrende Leidensgenossen angeheizt, denn selbst für LKW´s und Autos ist die Passstraße harte Arbeit. Wahrscheinlich bekommen wir deswegen auch so viel Zuspruch. In den kleinen, niedlichen, abgeschiedenen Bergdörfern versammelt sich teils das halbe Dorf, um uns zu begrüßen. Es kommt wohl nicht so oft vor, dass Radreisende, insbesondere auf einem Tandem, den Weg durch das Hochland wählen. Die Menschen sind sehr interessiert, hilfsbereit und verwundert. Das wirklich Fantastische, dass wir immer mehr Worte verstehen, die uns von den Einheimischen mit auf den Weg geben werden. Sogar Gespräche sind möglich, wie wir es uns seit Beginn Mexikos so sehr wünschen. Während der Höhenmeter wird uns immer bewusster, dass dieser Weg trotz der harten Bedingungen einiges zu bieten hat, abgesehen von der faszinierenden Natur, die uns erst auf diese Route verlockt hat. Es ist spannend zu sehen, wie die Menschen hier leben, abgeschieden in der Ruhe und Schönheit der Natur, oft nur mit der mehreren Generationen in einem kleinen, selbst zusammengeschusterten Häuschen. Vor allem gib es viele Kinder, die den Orten sehr viel Lebendigkeit und Bewegung verleihen.
Die Straße, die
unseren Weg bestimmt, ist aufgrund einer parallel verlaufenden Autobahn recht
verkehrsarm, was unsere Reise auf der MEX 40 nach all den stark befahrenen
Straßen in den Staaten sehr angenehm gestaltet. Dies könnte wohl aber auch der
Grund sein, warum viele Truckfahrer riskant und unvorsichtig um die Kurven
preschen, beide Fahrbahnen einnehmend oder mitten in den Kurven Überholvorgänge
ansetzen. Am dritten Tag unseres Aufstiegs, wir befinden uns mittlerweile auf
2100m und wollen am Nachmittag noch den Pass überqueren, wird die einzigartige
Landschaft von einem dichten Regenwolkennetz umhüllt. Die Sichtweite reicht
keine 5m. Dazu kommt der beharrliche Dauerregen. Die Straße ist sehr gefährlich
unter diesen Konditionen. So brechen wir nach 2 Stunden Fahrt unser Lager im Trockenen
einer alten Ruine auf. Die 8° Grad in Kombination mit der Nässe frisst sich in
unsere Muskeln und wir entscheiden uns, diesen angebrochenen Tag abzuwarten, in
der Hoffnung, am folgenden Tag die Aussicht wieder genießen zu können. Zu
verwöhnt sind wir mittlerweile von der Sonne und den 20-30 Grad der Baja, so
dass drei Tage Regen in Folge trotz der wundervollen Natur an der Motivation
zerren. Viele solcher Tage erlebten wir in Alaska und Kanada, umso
erstaunlicher empfinden wir
mittlerweile, die Regentage dort tapfer auf dem Rad ausgeharrt zu haben und
immer wieder neue Motivation schöpfen zu können. Während Erfahrungsberichte
anderer Radreisende uns seit dem Verlassen Alaskas Hoffnung machen, den Regen
hinter uns zu lassen, müssen wir uns wohl damit abfinden, ein El Nino-Jahr
erwischt zu haben. Dieses Wetterphänomen tritt alle 8-10 Jahre im Winter in Amerika auf und bringt eine Schlechtwetterperiode von langer Durchhaltekraft mit sich. Viel, viel Regen bringt das Christkind, was wir durchaus das ein oder andere Mal bestätigen können. Wir haben aber dennoch Glück. Ein starker El Nino kann auch schon mal Schlammlawinen und starke Überschwemmungen in Südamerika verursachen, so dass einige Routen nicht passierbar sind. Wir wussten um den Zufall mit dem Phänomen zu unserer Reisezeit und konnten uns so auch auf vermehrtes Regenwetter einstellen, aber die Hoffnung bleibt uns dennoch.
Am nächsten Morgen zeigt auch der Nebel Durchhaltevermögen. Nicht mehr ganz so dicht, aber uns dennoch die Sicht raubend, schießen wir cm für cm den Pass hinauf. An diesem Tag erwartet uns eigentlich der schönste Abschnitt der Bergetappe. Auch wenn wir diese wohl spektakulären Ausblicke nicht erhaschen können, haben wir doch das große Glück, an der Espenacio del Diablo, wo es zu beiden Seiten der Straße steil hinab ins Tal geht, einen Lichtblick in dem Nebeldickicht zu erwischen. Für nur kurze Zeit klärt sich der Himmel zumindest auf der einen Seite und gibt den Blick frei ins Tal. Unsere Freude lässt sich kaum halten. Damit haben wir nicht gerechnet. Es zeigt sich eine grüne, weitläufige Berglandschaft, vereinzelt kleine Almen, Schotterstraßen winden sich hinauf zu den Bergspritzen. Euphorisch arbeiten wir uns, später im sinnflutartigen Regen, auf die Passspitze von 2875m. Zweiter Lichtblick des Tages, denn nun liegt der körperlich härteste Teil der bisherigen Reise hinter uns. Auch mental war es eine große Herausforderung. Das Wetter, die Höhe, die permanente Schrittgeschwindigkeit und die Anstrengung riefen zumindest bei Sabrina öfters Momente der Verzweiflung hervor. Die ständigen emotionalen Höhen und Tiefen dieser Reise sind schwer zu puffern. Doch meistens geschieht genau nach solchen Perioden wieder etwas Einzigartiges, Unglaubliches, Unvergessliches, für das sich das Kämpfen, die häufige Bewegung außerhalb der eigenen Komfortzone, lohnt. In den kommenden Tagen sollten uns mehrere solcher prägender Erlebnisse widerfahren. Zunächst hatte der Wettergott Erbarmen und die Sonne zeigte ihre volle Entfaltungskraft. Die Endorfinausschüttung schon am Anschlag arbeitend, werden wir in einer kleiner Stadt, El Salto, einmal wieder von der Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Mexikaner überrascht. Nichts ahnend schenken uns Offizielle der Stadt wertvolle Verpflegung für die nächsten Tage, als man uns in der Mittagspause zufällig an einem Plaza entdeckt. Selten verirren sich Radreisende so tief im Hochland, daher freuten sich die Bewohner El Saltos über unseren Besuch. Einer Einladung folgend, verbringen wir die Nacht bei Sergej und seiner Familie, werden mit bester, mexikanischer Hausmannskost versorgt und entdecken weitere Ecken der Kleinstadt. Näher am alltäglichen Familienleben können wir uns nicht wünschen. Dies sind Momente, die eine Radreise von anderen Arten des Reisen herausstechen lassen. Für solche Momente lohnt sich der Kraftaufwand, sowohl körperlich als auch mental.
Von hier aus sind es nur noch 100km bis Durango, eine wunderschöne Kolonialstadt, die für solange Zeit unser Ziel ist. Letztendlich haben wir in den 300km von Mazatlan nach Durango stolze 9500 Höhenmeter bewältigt. Ganz anders als alle anderen mexikanischen Städte, die wir zuvor passiert haben, erinnert uns das historische Zentrum Durangos an europäische Altstädte. Der spanische Einfluss zieht sich durch jede der kleinen engen Gassen und prägt die architektonischen Anziehungspunkte Durangos. Die alte, ehrfürchtige Kathedrale erstreckt sich im Mittelpunkt der Stadt, umrahmt von niedlichen Plätzen, an denen sich das Leben tummelt. Auch hier werden wir von Einheimischen, die die Leidenschaft des Fahrradfahrens teilen, aufgelesen. Jonathan und sein Bruder nehmen uns in ihrem Heim auf. Gemeinsam mit seinen Freunden verbringen wir einen tollen Abend bei Sightseeing und mexikanischem Bier, das sehr wohl mit deutschem Bier mithalten kann. Unsere ersten Pyramiden, die Geschichte der örtlichen Minen, der Besuch der Tunnelgeflechte und leckeres, regionales Essen geben uns in Begleitung von Abdy und Grecia eine kleine Verschnaufspause von dem anspruchsvollen Profil der Berge.
Weiter Richtung Zacatecas verliert die Landschaft etwas von ihrem Zauber, statt tiefer Schluchten und grüner Täler ist sie hier eher von der Landwirtschaft geprägt. Flache Felder scheinen in rot-braunen Tönen, die Straße zieht sich schnurrgerade in kleinen Wellen Richtung Süden. Wüssten wir nicht, dass wir uns im Schnitt auf 2400m befinden würden, könnte man durchaus annehmen, hinter dem nächsten Hügel wartet das Meer auf uns. Zacatecas bedeutet für uns noch mal eine anstrengende Bergankunft. In der Wärme der Mittagssonne arbeiten wir uns auf der Hauptstraße voran, bis wir kurz vor der Spitze von einer Mountainbikerin angehalten und mit einer Bleibe für die Nacht versorgt werden. Ungläubig schütteln wir die Köpfe, die dritte, unerwartete Einladung innerhalb von einer Woche. Es wird die Zeit kommen, in der wir einiges von dem, was wir an Hilfe und Gastfreundschaft bekommen haben, an andere zurückgeben können - wir freuen uns sehr auf diese Zeit. Wenn wir unsere Gastgeber fragen, warum sie uns eingeladen haben, lautet meist einer der Gründe, dass wir sie inspirieren, ihnen Mut geben und Möglichkeiten zeigen. Es ist schön, nicht nur das Gefühl zu haben, von den Menschen zu nehmen, sondern ihnen außer tiefer Dankbarkeit und Austausch auch etwas zurückgeben zu können. So auch in dieser spanischen Kolonialstadt, die an Stil und Schönheit gar Durango übertrifft, das uns zuvor schon verzaubert hatte. Mit über 70 Kirchen und vielen antiken Gebäuden, engen Kopfsteinpflastergassen und gepflegten Parkanlagen lockt Zacatecas zahlreiche Touristen mit ihrem Charme an. In der Dunkelheit erstrahlt der Stadtkern in warmen Lichter und bringt die pastellfarben der Gebäude zum Leuchten. Doch viel Zeit können wir hier nicht verbringen, zu viel gibt es in Mexiko und Mittelamerika noch zu entdecken, was wir nicht missen möchten. Seit Langem überlegen wir, wie wir unser kleines Zeitproblemchen lösen können.
Möglichkeit eins: so viele Kilometer wie möglich aus eigener Kraft mit dem Rad absolvieren und den direktesten Weg nach Costa Rica wählen. Aber selbst dann liegen noch zu viele km zwischen uns und dem freudigen Widersehen mit unserem langersehnten Besuch aus der Heimat.
Möglichkeit zwei: alternative Transportmittel einbeziehen und noch so viel wie möglich von Mexikos, Belizes und Guatemalas Schönheit mitnehmen.
Wir haben uns für die zweite Variante entschieden. Einige Streckenabschnitte werden wir nun mit dem Bus zurücklegen und für andere, weiter abseits liegende Orte, die aber einen Besuch lohnen, werden wir ein Auto mieten. Planänderungen, Flexibilität und Spontanität begleiten uns weiterhin treu auf unserem Wege und können ein in so manchen Momenten schier zur Verzweiflung bringen. Wir versuchen es zu nehmen, wie es kommt und machen selbstverständlich das Beste draus.
Möglichkeit zwei: alternative Transportmittel einbeziehen und noch so viel wie möglich von Mexikos, Belizes und Guatemalas Schönheit mitnehmen.
Wir haben uns für die zweite Variante entschieden. Einige Streckenabschnitte werden wir nun mit dem Bus zurücklegen und für andere, weiter abseits liegende Orte, die aber einen Besuch lohnen, werden wir ein Auto mieten. Planänderungen, Flexibilität und Spontanität begleiten uns weiterhin treu auf unserem Wege und können ein in so manchen Momenten schier zur Verzweiflung bringen. Wir versuchen es zu nehmen, wie es kommt und machen selbstverständlich das Beste draus.